Meine Berufung als Bankkaufmann

Lange hatte ich überlegt, welchen Beruf ich wohl ergreifen könnte. Angedacht war ein Koch und Konditor, wie mein Onkel Carl aus dem Ostseebad Göhren auf Rügen. Nach der Deportation aller selbständigen größeren Hoteliers an der Ostseeküste im Gebiet der DDR war er von Rügen weg gegangen und hatte als Ausbilder an der Hotelfachschule in Zwickau gearbeitet. Sein Elternhaus samt Hotel an der Waldstraße war vom FDGB beschlagnahmt, nannte sich dann nach einem Kommunistenführer „Friedrich Engels“. Zum Ende der DDR und dem Übergang zur BRD war es nur ein abbruchreifer grauer Kasten. Der FDGB wurde aufgelöst und mein Onkel war im Frühjahr 1989 mit knapp 82 Jahren gestorben.

Koch und Konditor war also mein Traumberuf und mein Onkel bot mir an, bei ihm eine Lehre zu machen. Er hatte das Hotel Haus Delecke an der Möhnetalsperre gepachtet, insgesamt 26 Jahre residierte er in diesem 60 Bettenhaus, das anmutete wie ein kleines Schloss oberhalb des Stausees Möhnesee gelegen. Ausgestattet mit einem Turm, einer großen Parkanlage und einem eigenen Badeplatz am See. Für exklusive Gäste aus dem Kohlenpott und anderswo.

So kam zum Ende der Schule eine ärztliche Untersuchung in der Volksschule Nesselwang im Allgäu, wo wir seit 1965 wohnten. Der Arzt stellte fest –nach einem Röntgenbild- das ich eine

„Scheuermann`sche Rückgratverkrümmung“ hatte die schweres Heben, wie man das als Koch mit vollen Kochtöpfen zu täglich zu tun hatte. So zerplatze mein Traumberuf an körperlicher Unzulänglichkeit.

Eine meiner ledigen Tanten, die keinen Mann erwischt hatten, zum täglichen Abreagieren des Lebensfrustes, hatte in Konstanz am Bodensee eine Gemeinschaftspraxis mit einen Orthopäden, Herrn Dr. L. Zu ihm wurde ich von meinem Vater gebracht, die Röntgenbilder mitgenommen und der Doktor meinte, mit einem Gipskorsett würde er den Schaden jetzt im Wachstum noch beheben können.

Zum nächsten Termin wurde ich dann an einem Reck im Keller des Arzthauses aufgehängt, bzw. musste ich mich dort an der Decke festhalten. So wurde das Rückgrat gestreckt und entlastet. Mit einer Gase wurde der Oberkörper überzogen und darauf klatschte dann der Arzt Gips in großen Mengen. Es ergab in einer einstündigen Behandlung einen massigen Gipskörper. Als es fest wurde, durfte ich die Halterung an der Decke los lassen und merkte, das mein Oberkörper in dem Korsett Halt fand. 6 Wochen sollte das anhalten, dann sollte ich mit meinem Vater wieder kommen und das Korsett sollte vom Arzt entfernt werden.

In der Schule angekommen, sah sich der Lehrer Rudolf Weimann das Ganze an. An sitzen auf einem Klassenstuhl war nicht zu denken. Er lies dann kurzer Hand den Unterbau vom Filmvorführgerät der Nesselwanger Volksschule holen und tatsächlich, im Stehen hatte ich ein schönes Stehpult. So musste ich 6 Wochen lang im Unterricht stehen und mitarbeiten.

Nach 6 Wochen folgte die nächste 140 Kilometer lange Autoreise nach Konstanz zu meiner Großmutter Ella und dann in die Arztpraxis. Das Gipskorsett wurde abgenommen und Röntgenbilder gemacht, die Wirbel hatten sich teilweise ausgebildet, aber noch nicht ganz.

Die ganze Aktion folgte noch einmal, wieder musste ich 6 Wochen am Stehpult in der Schule arbeiten – hatte aber auch den Vorteil, den Prügelaktionen des Lehrers nicht ausgeliefert zu sein.

Wenn morgens der Unterricht in der Nesselwanger Schulklasse begann, mussten alle Kinder aufstehen und rufen: „Grüß Gott Herr Oberlehrer!“ Erst wenn Herr Weimann zurück gegrüßt hatte, durften wir uns setzen.

Sein besonderer Lieblingsschüler war Edwin, ein kleiner Knirps, der kurz zuvor, ca. 1965 seine Mutter verloren hatte. Damals waren wir alle ca. 12 Jahre alt. Ich war schon 167 cm groß – bin nach dem Gipskorsett noch mal 20 cm gewachsen, als die Aktion vorbei war-.

Edwin saß ganz vorne, er war der Sprecher der Klasse, sonst traute sich keiner. Sein Vater war Friseur in Nesselwang an der Dorflinde, fast ebenso klein geraten. Nun hatte er eine Friseuse aus seinem Laden geheiratet, die auch die Ersatzmutter machen musste.

Eines Morgens nach dem „Grüß Gott Herr Oberlehrer!“ ging der ca. 1,80 Meter große Lehrer direkt auf Edwin zu holte aus, und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Dann sagte er: „Edwin, gestern kam Deine Mutter weinend zu mir gelaufen und besuchte mich in meiner Wohnung. Sie sagte: „“Edwin hat mir gesagt – Du bist nicht meine Mutter, Du hast mir gar nichts zu sagen!““ – Sowas gehört sich nicht. Deine Mutter ist leider gestorben, aber was soll Dein Vater machen, er braucht eine Frau für Dich und für den Laden!“

Edwin widersprach ! – Der traute sich was!

Nun legte der große, ca. 2 Zentner schwere Lehrer Weimann die linke Hand auf den Rücken und klatschte Edwin mit der rechten Hand kräftig auf den Rücken. Der war auch nicht untätig und drehte sich. So blieb dem großen Oberlehrer nichts anderes übrig, als mit ihm im Kreis herum zu hüpfen, immer wieder klatschte die große Hand auf den kleinen Rücken.

Jemand lachte! So eine Unverschämtheit!

Weimann wandte sich von Edwin ab. Der Übeltäter war leicht gefunden, er konnte das Lachen zu diesem lustigen Drehwurm nicht unterdrücken. Er wurde aus der Bank gezogen und so lange mit der rechten Hand auf den Rücken gedroschen, bis er am Fußboden lag. Auch der Nebenmann begann zu Glucksen ! So kam einer nach dem anderen dran, der nur grinste. Es war die 7. Klasse Volksschule in Nesselwang in Bayern. Jungen und Mädchenklassen waren strikt getrennt. Ich hatte Glück, ich konnte mir das Grinsen verkneifen und dachte an das ständige Jucken unter dem Gipspanzer. Was hatte ich für ein Glück, das ich als Krüppel angesehen wurde.

In der nächsten Schulklasse 1966- 1967 fand ein großes Experiment statt. Offensichtlich hatte die Bayerische Staatsregierung die Zeichen der Zeit aufgenommen und erstmals in der Geschichte der Volksschule Nesselwang wurde die Schlussklasse aus Jungen und ! Mädchen gebildet. Herr Lehrer Weimann wurde zum Kon -Rektor ernannt, die Klasse aus über 30 Jungen und Mädchen gebildet.

Da ging es mit den Prügelaktionen nicht mehr weiter.

In Erdkunde lernten wir am meisten. Damals konnte ich alle Staaten dieser Erde mit ihren Hauptstädten auswendig fehlerfrei runterbeten. Weimann zeichnete sehr schöne Staatenrumrisse auf eine Schablone im Durchschreibeverfahren und mit Hilfe eine Walze wurden sie in die einzelnen Schulhefte gedruckt. Die Umrisse von Bayern, aufgeteilt in die 7 Regierungsbezirke. Schwaben mit der Hauptstadt Augsburg – und so fort.

Dann sollte die Klasse die Umrisse von Bayern auf ein weißes Blatt Papier malen mit den größeren Flüssen und den Hauptstädten der 7 Regierungsbezirke, die Schablone mit den Heften wurde eingesammelt, kam auf einen Stoß auf dem Lehrerpult.

Von mir und meinen erdkundlichen Fähigkeiten brauche ich hier nicht berichten. Einige Mädchen gaben ein weißes Blatt ab! Die 2. Kategorie machte einen Querstrich in das weiße Blatt und schrieb: „Donau“ daran.

Kommentar an die erste: „Was gibt es für Gänse?“ …..“weiße Gänse, graue Gänse … Äh!“

„Und dumme Gänse, so eine dumme Gans bist Du!“

1967 konnte ich dann abgehen von der Volksschule Nesselwang, die mich und meine beruflichen Pläne so sehr mitgeprägt hat. Ich kam in die private Handelsschule Merkur in Kempten im Allgäu. 20 Schüler waren in der ersten der 3 weiterführenden Schulklassen.

Englisch und Stenographie waren meine Schwachpunkte. Lehrer Weimann traf ich dann mal in Nesselwang und er fragte mich, welche Schwachpunkte ich in der Handelsschule hatte. Sagte ich ihm auch brav. Ich sollte mich auf die Schwachpunkte konzentrieren.

So kam es, das ich tatsächlich Stenographie forcierte und in der Schlussprüfung nach 3 Jahren auf 140 Silben pro Minute kam und sogar das Gekritzel noch lesen und auf Schriftdeutsch übertragen konnte. Note 2 ! –Streber sind auch Menschen-

Englisch gab es damals noch nicht als Lehrfach in der Volksschule, das war ein Fehler im Lehrsystem, was aber später behoben wurde. Im Zwischenzeugnis der Schlussklasse der privaten Handelsschule Merkur in Kempten bekam ich die Durchschnittsnote 1,6 !!! –Streber-

Nur ein Mädchen war noch besser, was mich wurmte. Das Bauernmädchen aus dem Landkreis Kempten hatte einen Notendurchschnitt von 1,2 !

Mit diesem Zeugnis begann die Aufnahmeprüfung bei der Deutsche Bank AG Filiale Kempten im Allgäu. Mein Vater Hilard Schmidt war damals Finanzdirektor der OROTEXTIL AG in Durach bei Kempten (Allgäu) mit damals 600 Mitarbeitern und hatte den Kontakt zum Direktor Betzenhofer. Sein seriöser Bankdirektor, der allseits bekannt und beliebt war.

So hatte ich Glück und wurde ab 17. August 1970 als Lehrling der Deutsche Bank AG angenommen. 2 ½ Lehrjahre hatte ich zu durchlaufen und als besonderes Privileg, was nicht allen Lehrlingen zuteil wurde, kam ich auch monatelang in die Kreditabteilung.

Das war eine interne Abteilung, direkt neben dem Büro des Prokuristen und des Direktors Betzenhofer, der wie mein Vater Jahrgang 1923 war. Die Sekretärin der Kreditabteilung war auch die Sekretärin des Direktors und des Prokuristen.

Eines Tages maulte die Sekretärin. Sie war auch aus Nesselwang im Allgäu und erzählte ganz empört: „Ich habe die Mappe mit den Briefen an den Chef gegeben zum Unterschreiben. Kurz darauf kam er zu mir und verlangte auch das Aufnahmeband. Das nahm er mit und bald darauf knallte er mir die ganze Mappe korrigiert wieder auf den Schreibtisch! Er hatte das Band wieder in sein Diktiergerät eingelegt und mitgelesen. Da hat er gemerkt, das ich seine Satzstellungen geändert hatte. Das hat er dann alles durchgestrichen und ich musste es noch mal so schreiben, wie er diktiert hatte!“

In der Kreditabteilung hatte ich 2 junge Sachbearbeiter. Der eine hatte wohl einen schlechten Tag und keine Lust zu arbeiten. Er sagte zur mir: „Holen Sie doch mal die dicke Akte M…!“ (den Namen weis ich bis heute). Er gab mit eine Hörmuschel und sagte zu mir: „Jetzt hören Sie mal mit, so muss man mit den Schuldnern umgehen!“

Er rief die Firma an und sagte zur Firmeninhaberin: „Jetzt sind Sie schon wieder mit Ihren Ratenzahlungen im Rückstand. Wenn nicht sofort ein Betrag von DM XXXXX eingezahlt wird, komme ich persönlich und hole alles, was Sie haben!“ Die Dame schluckte … und sie sagte: „Ja!“ Freudig legte er den Hörer auf.

Privat fuhr er einen VW Käfer. Ich wusste ja, das er und der andere Kollege eifrig dem Alkohol zugeneigt waren. So erzählte er einmal, er wolle jetzt sein Auto verkaufen. Abends hätte er in Kempten „gesoffen“! So sei er nach Martinszell nach Hause gefahren, aber auf der Fahrt sei ihm schlecht geworden. Anhalten ging nicht mehr und das Bier und die vielen Schnäpse seien so schnell hoch gekommen, das das Fenster nicht mehr aufzukurbeln gewesen wäre. So ging die ganze Fontäne von innen an die Frontscheibe und die Alkoholbrühe zusammen mit dem zuvor verspeisten Wurstsalat sei in die Lüftungsschlitze gelaufen. Das Auto würde so stinken, das sei von ihm nicht mehr zu erwarten, das er damit noch fahren könnte.

Was aus ihm wohl geworden ist?

Herr Direktor Betzenhofer wechselte dann irgend wann in die Industrie nach Memmingen und ein wesentlich jüngerer kam aus Köln als Ersatz für ihn. Zuvor hatte dieser Direktor eine kleine Bank abgewickelt, die wohl schlechte Geschäfte in Heidelberg gemacht hatte.

Eines Morgens kam dieser Direktor mit einem Verband am Kinn. Abends war wohl eine Veranstaltung in Kempten, er hatte eifrig dem Alkohol zugesprochen und war in der Nacht nach Oberdorf –gegenüber von Martinszell- nach Hause gefahren. Die Reaktion war nicht mehr so und das Auto wurde Opfer und war Schrott. Mit dem Kinn war der Herr Direktor auf das Lenkrad geschlagen und hatte manche Zähne verloren. Seine Frau war auch arg mitgenommen.

Aus München von der Zentrale wurde dann ein neues Direktionsfahrzeug unter Murren genehmigt.

Menschen – wie Du und Ich.

Zum Ende des Jahres hatte der neu ernannte Prokurist aus Durach sein großes Geschäft gemacht. Lange hing ihm dies noch nach. Auf Empfehlung vom Direktor, der groß im Rotary Club von Kempten gewirkt hat, kam ein Verkäufer für Toilettenpapier. Bei Abnahme von so und so vielen Stück Papierrollen würde es einen Rabatt geben. So wurde gekauft, weil eben der Chef die Empfehlung vom Club gelesen hatte. Für über 5.000 DM. Ich rechnete dann mal hoch bei 30 Mitarbeitern und Verbrauch von 5 oder 6 Blättern je Mitarbeiter würde der Vorrat auf 30 ! Jahre ausreichen.

Als ich den Prokuristen vor einigen Jahren -2007- in Durach besuchte zu seinem 80. Geburtstag meinte er: „Die Geschichte hing mir mein ganzes restliches Berufsleben noch an! Aber wir haben ja neue Filialen im Allgäu eröffnet und da waren es keine 30 Jahre, da wurde der Verbrauch erheblich ausgeweitet!“

Meine Prüfung als Bankkaufmann konnte ich im Februar 1973 machen und hatte das Glück, in der mündlichen Prüfung auf den Prokuristen der Bayerischen Vereinsbank AG zu treffen. Er fragte mich, was der Sinn und Zweck einer „BÜRGSCHAFT“ sei und ich sollte den Ablauf erläutern. So erläuterte ich ihm die „Ausbietungsgarantie bei ausländischen Baustellen“ und bekam als Schlussnote als Bankkaufmann die Note der IHK Schwaben

1,9

Das soll mir erst einmal nachmachen. Dazu braucht man kein Streber sein.

Der junge Direktor war stolz, der beste Abschluss eines Lehrlings der Deutsche Bank AG in diesem Jahrgang. Ich wurde als Mitarbeiter übernommen, in eine sehr gute Gehaltsgruppe mit Zulage eingefügt und hatte so mein Auskommen.

Mein Vater ging dann noch 1973 als Geschäftsführer einer großen Firma nach Köln, meine Eltern zogen dort hin um. So bekam ich im Haus der Bank im 2. OG eine Dienstwohnung.

Schon 1975 konnte ich mir im Stadtzentrum meine erste Eigentumswohnung kaufen und 1976 versetzte mich die Bank nach München.

Dort gefiel es mir gar nicht, nachdem mir der Abteilungsdirektor mitgeteilt hatte, die Bank wolle mich in die Zentralrevision nach Frankfurt am Main versetzen, dort würde ich dann bundesweit zur Prüfung der einzelnen über 1000 Filialen eingesetzt.

So suchte ich nicht lange und wurde in die Kreditabteilung der Sparkasse Ostallgäu in Marktoberdorf im Ostallgäu eingestellt. Der Vorstandsvorsitzende wurde als der Revolutionär der Sparkassendirektoren in Bayern gehandelt, weil er die Kredite nicht nur im eigenen Landkreis vergab, sondern hauptsächlich nach München und Augsburg. 3 Jahre lang von 1977 bis 1980 arbeitete ich mit ihm zusammen für die auswärtigen Kredite.

1980 kam die große Chance und ich bewarb mich als Abteilungsleiter für das Kreditgeschäft bei der Raiffeisenbank Bad Wörishofen e.G. mit damals einer Bilanzsumme von 129.000.000 DM. Nicht viel heute. Jährlich wurde die Bank größer und 1987 kam noch einmal eine Chance, als Bereichsleiter Kredit der Volksbank Gerabronn in Nordwürttemberg eine neue Aufgabe zu übernehmen.

Hier hatte einer der Vorstandsmitglieder einen merkwürdigen Kredit gegeben, er hatte Schafe und Ziegen der Bank sicherungsübereignet. Nun musste alles verwertet werden, weil der Kunde bankrott gegangen war.

Um noch seine Zucht zu retten, muss wohl der Kreditnehmer der Bank einen Züchterkollegen angesprochen haben, es kam ein Brief aus Hohenlohe das er Schafe und Ziegen mit eintätowierten Zuchtnummern, die jeweils im linken Ohr sichtbar seien, an den Züchter geliefert hätte und die seien noch nicht bezahlt, also sein Eigentum, er wollte alle Tiere haben.

So leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Ich besorgte einen Helfer aus Niederstetten, lies alle Schafe und Ziegen in einen Stall treiben und lies sie mir durch einen engen Durchgang in den Nachbarstall zutreiben. Der Amtstierarzt aus Bad Mergentheim, der alle Tiere für uns als verwertende Bank untersucht hatte, kam extra mit dem Auto angefahren, sah mich erstmals nicht in Anzug und Krawatte, sondern in Jeans und lachte ganz herzlich mit dem Bemerken:

„Das muss man gesehen haben! Der allseits bekannte Bank -Schmidt fängt Schafe und Ziegen mit der Hand ein, wer hätte das jemals für möglich gehalten?“

Alle 80 Schafe und gut 30 Ziegen kamen so auf mich zugestürmt, die Ziegen mit dem Kopf nach unten, weil sie unsanft angetrieben wurden. So packte ich die Ziegen bei den Hörnern, um mir keine Verletzungen zuzuziehen, leuchtete mit einer Taschenlampe ins linke Ohr, schrieb mir die Zuchtnummern auf, die tatsächlich im linken Ohr eintätowiert waren, und schon die Tiere hinter mich.

Das war ein Theater! Als mehr als die Hälfte aller Tiere hinter mir im Stall Ruhe geben sollten, wollten sie durch das enge Loch wieder zurück zu den Leidensgenossen, die ich noch nicht geprüft hatte.

Hinten stießen die Ziegen –dämliche Viecher- mit den Hörnern, vorne stoben die Ziegen mit den Hörnern gefährlich auf mich zu und die Schafe blökten, die Ziegen meckerten. Nach vielen Stunden ungewohnter Schwerstarbeit war der Tag für mich gelaufen.

In meinem Vorstandsbüro verglich ich die Zuchtnummern, die ich von den über 100 Tieren aufgeschrieben hatte mit der Liste der Züchters aus Hohenlohe, aber keine Übereinstimmung war festzustellen.

Der Züchter bekam einen Brief von uns und ich klärte mit der Rechtsabteilung der Genossenschaftsbank Baden Württemberg in Stuttgart die Eigentumsverhältnisse.

„Die kleinen Ziegen, die von nicht bezahlten Muttertieren abstammten, seien Eigentum des Liefer-Züchters!“

Da aber der von uns finanzierte Züchter keine Möglichkeiten zum Tätowieren hatte, und alle von mir geprüften über 100 Tiere eine Zuchtnummer im linken Ohr hatten, fiel diese Möglichkeit aus.

So suchten wir per Inserat in der Hohenloher Zeitung einen Käufer für die Schlachttiere, denn der Amtstierarzt hatte uns schriftlich bescheinigt, das die Tiere krank seien und nicht zur Zucht geeignet. Der Stall war wohl zu feucht und der Kreditnehmer, der sich als Züchter versucht hatte, war eigentlich Musiker.

Eine Firma aus Schwäbisch Hall meldete sich und ich machte vorsorglich einen Kaufvertrag mit dem besonderen Hinweis, das der Amtstierarzt von Bad Mergentheim bestätigt habe, die Tiere seien krank und nur als Schlachtvieh verwendbar.

Die Firma unterzeichnete und ich überwachte die Abholung.

Bald darauf erhielt ich diverse Anrufe von Züchtern in ganz Baden Württemberg. Man habe Zuchtziegen und Zuchtschafe gekauft, die von uns ursprünglich verkauft worden seien und bei tierärztlicher Untersuchung habe man nun festgestellt, das die Tiere krank seien und man wollte uns „haftbar“ machen.

Die Firmen erhielten alle eine Kopie unseres Kaufvertrages, den ich mit dem Käufer der kranken Tiere gemacht hatten und alle Forderungen konnten dann an den Verkäufer aus Schwäbisch Hall abgeleitet werden.

Das war die lustigste Episode, die ich in den 3 Jahren in Nord Württemberg erlebte. Zum Glück hatte ich solche Lehrstücke, so konnte mich auch später in der Zone niemand so leicht aufs Kreuz legen.

Einer der Vorstände aus Nord Württemberg besuchte mich einige Jahre danach auf Rügen, ein anderer aus Blaufelden wollte sich vom Bankkassierer nach Göhren fahren lassen, hat dann aber doch aufgrund seines fortgeschrittenen Alters von der langen Reise abgesehen. Dafür habe ich ihn dann noch einmal in Blaufelden besucht.

Der 9. November 1989 kam, nur wenige Wochen nach dem Krebstod meines Vaters und ich sah uns schon wieder in unserem staatlich beschlagnahmten Hotel auf der Insel Rügen.

Die Mauer war offen, jetzt war der Weg frei, der Kommunismus war endlich besiegt und am 10. November 1989 kündigte ich meine Stellung bei der Bank und ging zurück nach Türkheim in Bayern, wo meine Mutter lebte.

Von hier aus begannen unsere Versuche, in unsere rügener Heimat zurück zu kehren.

Nun stellten wir zu unserer Verwunderung fest, das die DDR das kommunistische Regime eben nicht aufgeben wollte, sondern weiter machen, nur mit anderen Betonköpfen.

Auch im November schrieb ein mir unbekannter Vetter aus Göhren auf Rügen, er möchte eine schriftliche Einladung der Familie. Er wollte mal sehen, wie das im Westen ist und schon zu Weihnachten 1989 kam er zur Familie Hörnlein nach München und nach Weihnachten zu uns nach Türkheim.

Beim Besuch meiner Mutter, meiner Schwester und meines Neffen in Göhren auf Rügen 1981 durften sie nicht einmal zur Verwandtschaft in Göhren in deren Wohnung kommen, weil der rote Genosse sonst Schwierigkeiten mit seinem Regime bekommen hätte.

Aber jetzt war alles anders, in der 2. Januarwoche des Jahres 1990 durften wir mit dem Auto in die Zone fahren, zunächst zur Verwandtschaft nach Merbelsrod im Thüringer Wald, die innerdeutsche Grenze nördlich von Coburg nach Eisfeld war jetzt geöffnet. Wir erhielten „Zählkarten“ in die wir unsere persönlichen Daten eintragen mussten. Viele Jahre später erfuhren wir dann, das diese noch immer von der Staatssicherheit oder dem Amt für Nationale Sicherheit bearbeitet worden sind.

Die Fahrt in die angeblich gewendete Ost- Zone ist in meinen roten Büchern beschrieben, auch Bilder habe gemacht und so, wie die Zone damals herunter gewirtschaftet worden war, wird Deutschland hoffentlich nie wieder.

Der Aufbau unseres in 38 Jahren vom Deutschen Staat zwangsweise ruinierten Hotels hat eine 7-stellige Summe verschlungen. Aber nach 20 Jahren, 2011 hatten wir den Aufbau abgeschlossen.

Unsere Allgäuer Häuser mussten wir leider verkaufen, aber noch jedes Jahr besuchen wir die schönen Landschaften und unsere letzte noch dort lebende Freundin Käte in Nesselwang, die 1909 geboren ist und erst mit 99 Jahren ins Altersheim Nesselwang umgezogen ist. Heute ist sie 102 Jahre alt und uns noch immer freundschaftlich verbunden.

Und die Erinnerungen an unser zwangsweises Exil im „goldenen Westen“ bleiben uns unser Leben lang erhalten. Warum wurden wir zwangsdeportiert vom Deutschen Staat? Wollte er nur unser Hotel ruinieren? Meine beiden Geschwister bekamen ihre jeweiligen 1-Familienhäuser in Göhren und Baabe nicht zurück. Da waren die Genossen noch nach der angeblichen Wende sehr aktiv und alle Akteure bekam noch hochdotierte Posten, die alle der Westen bezahlte.

Aufgeschrieben von Siegfried Schmidt, im Juli 2011.

Heimatschriftsteller der Insel Rügen, Turmbau zu Baabe am Kurpark, Ostseebad Baabe